"Wo Materie ist, dort ist auch Geometrie."

Johannes Kepler (1571 - 1630)

Jeder Gegenstand hat seine eigene geometrische Struktur. Nicht nur die Natur sondern auch alles vom Menschen Erschaffene zeigt eine geometrische Ordnung – von einfach bis komplex, von statisch bis dynamisch. Geometrie existiert unabhängig von Bezugssystemen oder Nomenklaturen. In der Mathematik nimmt sie eine besondere Position ein, da sie vorstellbar, darstellbar und berechenbar zugleich ist. Ingenieurwesen, Architektur und Produktgestaltung wären ohne sie nur eingeschränkt möglich, in der Kunst ist sie der Schlüssel zu Harmonie und Proportion. Für mich ist Geometrie die Grammatik der Gestaltung. Je phantasievoller und einfallsreicher diese Grammatik eingesetzt wird, desto interessanter wird der Gegenstand sein. In der Architektenausbildung war es mir daher von höchster Wichtigkeit, Geometrie nicht nur als Pflichtfach zu unterrichten sondern auch als Grundlage der Gestaltung zu lehren. In den drei Schritten abbildende, formbeschreibende und formerzeugende Geometrie habe ich den Studierenden ein Verständnis für Geometrie vermittelt. Erst mit diesem Verständnis macht die Arbeit mit Computer und CAD Sinn.

Die Bleistiftskizze ist Ausgang meiner Entwürfe. Sie ist die erste Abstraktion einer Idee. Am Computer findet eine flüchtige Idee ihre konkrete Gestalt. Er ist gleichsam der technische Interpret der Skizze. Der Einfall allein ist jedoch noch lange nicht das Kunstwerk. Erst die Darstellung der Idee ist das Kunstwerk. Diese benötigt das Wissen über Material und Technik. Eigenständigkeit und Unverwechselbarkeit des Kunstwerks können nur dann entstehen, wenn Kenntnisse über Arbeiten der Gegenwart und der Geschichte vorhanden sind. Das geistige Konzept kristallisiert sich in einer geometrischen Struktur, die auch meinen Bildern und Skulpturen zu Grunde liegt. Das Unverwechselbare entsteht aber erst, wenn Phantasie und Intuition die Geometrie bestimmen. So wird aus dem einfachen Bezug zur Geometrie das eigenständige Spiel der Formen, Farben und Oberflächen, das sich eben dieser Geometrie verdankt.

Gebrauch, Form, Material, Konstruktion und Herstellung bestimmen das Design eines Gegenstands. Auf der Grundlage eines geometrischen Konzepts entstehen Form und Konstruktion. Doch die Auswahl der Materialien, deren Bearbeitung, das Fügen der Teile und die Anforderungen der Herstellung sind die Randbedingungen für die Geometrie des Gegenstandes. Kein Gebrauchsgegenstand muss auf Schönheit und Anmutung verzichten – kein Sessel, keine Leuchte, keine Uhr! Sie müssen uns dienlich und zugleich schön anzuschauen sein. Authentisch ist das Design jedoch nur dann, wenn das Verfügbare bekannt ist und dessen Behandlung erlernt wurde.Schließlich ergibt sich daraus ein eigenständiger, unverwechselbarer Gegenstand. Für die Klarheit der Form und die Beziehung der Einzelteile ist ein geometrisches Konzept verantwortlich, das meinen Gegenständen zu Grunde liegt.

Aufgabe einer Rekonstruktion ist es, aus Fragmenten, Fundstücken und Archivbeständen historische Gebäude über Bild und Film sowie physischem Modell wieder erlebbar zu machen. Die Rekonstruktion beantwortet die Fragen nach historischer Bautechnik und nach dem Stil architektonischer Form. Sie gibt Auskunft über die historischen Materialien und deren Bearbeitung. Insbesondere historische Bauten zeigen ein strenges geometrisches Konzept. Dieses Konzept zu entdecken und zu verstehen, ist der Schlüssel zur Rekonstruktion. Ist der Schlüssel bekannt, lässt sich auch aus wenigen Fragmenten das gesamte Gebäude rekonstruieren. Im Rahmen meiner Forschung habe ich mich intensiv mit Rekonstruktion auseinandergesetzt. Besondere Freude hat mir die Rekonstruktion des Glaspavillons für die Werkbund-Ausstellung 1914 von Bruno Taut gemacht. Meine Erfahrung aus vielen Ausstellungen hat mir gezeigt, dass die reine digitale Visualisierung via Bild und Film dem Betrachter keinen ausreichenden Zugang zur Rekonstruktion bietet und daher das Interesse schon nach kurzer Zeit verloren geht. Ganz anders verhält es sich bei einem greifbaren, physischen Modell: Lieber geht man um das Modell herum, erlebt es aus verschiedenen Blickwinkeln und Abständen. Licht und Schatten sind nicht mehr konstant. Allmählich beginnt der Betrachter, die Wirkung des Originals zu empfinden.

Das Thema der Architektur ist der begehbare Raum und dessen Darstellung. Architektur ist auch Raumdarstellung. So wie meine Bilder auch eine Auseinandersetzung mit der Fläche sind, so ist Architektur die Auseinandersetzung mit dem begehbaren Raum. Für mich entsteht dieser Raum durch Anordnung und Beziehung tektonischer Elemente wie Wand, Stütze, Decke, Stufe, Träger. Die Grundlage möglicher Anordnungen ist eine geometrische Struktur. Durch Gestaltung und Formgebung der Elemente wird deren Beziehung zueinander sichtbar. Anordnung und Beziehung stehen in direkter Abhängigkeit von Mensch (Nutzung, Funktion), Natur (Ort, Umgebung) und Physik (Konstruktion, Material). Für mich ist Architektur dann die Suche nach Raum und Raumfolgen, die mehr sind als einfach nur zweckmäßig. Der phantasievolle und intuitive Umgang mit der Geometrie ergibt die notwendige geometrische Struktur. Im fertigen Gebäude ist diese im Hintergrund präsent.

o. Prof. Wolfgang Knoll

Wien:
1937: Geboren

1956: Studienbeginn Architektur (TH Wien)

1959: Filmarchitekt bei Paramount Pictures Corporation & Arbeit in verschiedenen Architekturbüros

1965: Studienabschluss Architekturstudium (TH Wien)

Stuttgart:
1966: Assistent von Prof. M. Debus (TU Stuttgart)

1972: Erstes Seminar zum Thema „Rechnergestütztes Zeichnen & CAD im Architekturstudium“

1974: Berufung an die Staatliche Akademie der bildenden Künste Stuttgart und Leitung der Grundklasse für 
Allgemeine Künstlerische Ausbildung

1975: Berufung an die Universität Stuttgart als o. Professor 
und Direktor Institut für Darstellen und Gestalten

2005: Emeritiert

Asien:
2007: Gastprofessor an der Fu Jen Catholic University in Taipei (Taiwan)

2008: Gastprofessor an der Fu Jen Catholic University in Taipei (Taiwan)

2010: Gastprofessor an der Chungwoon University in Hongseong (Südkorea)

Architektur:
Einfamilienhäuser (Karlsruhe, Frankfurt, Duderstadt, Berlin, Tegernsee), Wohnungsbau (Berlin), Bürogebäude (Karlsruhe), Schule (Freiburg), Berufsakademie (Karlsruhe)

Rekonstruktion:
Verschiedene Forschungsprojekte, Ausstellungen mit weltweit >80 Stationen

Design:
Stühle, Sessel, Tische, Schränke, Lampen, Standuhren, Schmuck

Kunst:
Verschiedene Serien zu Geometrie, Komposition/Dekomposition und Bildzeichen mit >8 Ausstellungen in Deutschland und Österreich